Leseprobe Buch 2: Testuden und Aerobolde
Nach dem Gespräch vergingen noch zwei ereignislose Wochen. Dann aber … Die Klonies hatten wie immer Tropfen und Kristalle gefüttert, die Seifenblasen waren verschwunden … hielt das blaue Leuchten des Kristalls unvermutet länger an als sonst. Es vergingen mehr als zwei Minuten, da färbte sich der Kristall türkis anstatt wie üblich zu verblassen. Langsam schwoll er an. Etwas Vergleichbares hatten wir noch nie gesehen.
Nach dem Gespräch vergingen noch zwei ereignislose Wochen. Dann aber … Die Klonies hatten wie immer Tropfen und Kristalle gefüttert, die Seifenblasen waren verschwunden … hielt das blaue Leuchten des Kristalls unvermutet länger an als sonst. Es vergingen mehr als zwei Minuten, da färbte sich der Kristall türkis anstatt wie üblich zu verblassen. Langsam schwoll er an. Etwas Vergleichbares hatten wir noch nie gesehen.
„Wie schwanger“, rief Jule mit kaum gedämpfter Stimme. Alle starrten gebannt auf dieses merkwürdige Etwas. Diesmal hätte uns unser Alarmsystem wohl kaum gerettet. Für andere Signale als die kleinen Veränderungen unseres Kristalls hatten wir keine Sinne mehr frei. Nach neun Minuten – so behauptete Jule später – war der Kristallbauch ungefähr auf die Größe eines menschlichen Neunmonatsbauches angeschwollen. Man sah vom ursprünglichen Kristall noch die Kanten als Striche auf der Oberfläche.
Sina rief: „Habt ihr das auch gehört? Es hat Plobb gemacht.“ Bevor ihr jemand antworten konnte, schnellte ein weiterer kleiner Punkt aus der gespannten Bauchdecke. Die nächsten folgten in immer kürzeren Abständen. Während die Haut langsam schlaff wurde, landeten Tausende solcher beweglichen Punkte um uns herum.
„Eine Lupe! Wo ist eine Lupe?“ Leonie reagierte als erste.
Glücklicherweise erinnerte sich Jule. Zuvor hatte noch niemand eine Lupe benutzt. Schließlich besaßen wir ein mittelgroßes Mikroskop.
In den folgenden zwei Minuten drängelten die vier Klonies Julia und mich immer wieder zur Seite. Leonie hatte die Lupe als erste ordentlich über mehrere Punkte gehalten. Begeistert brüllte sie: „Sind die aber niedlich!“
Sina rief: „Lass mich auch mal! …Tatsächlich! Sieht aus wie ganz kleine Schildkröten!“
So kleine Schildkröten gibt es wohl gar nicht. Die Körper waren wenig mehr als einen Millimeter groß, wie abgeplattete Halbkugeln mit kaum erkennbaren, sich träge bewegenden Beinchen daran. Was auch immer das war oder werden würde … der Eindruck, kleine Tierchen vor sich zu haben, sozusagen ihre Geburt erlebt zu haben, beherrschte uns alle.
Endlich hatte ich mich gefasst. „Wir müssen sie einfangen! Aber wie?“ Panisch sahen wir uns im Raum um. Pipetten, ja, die fanden wir. Nur keine verschließbaren Behälter, Bottiche, Gläser oder Kisten. Womit sollten wir denn diese Mikroschildkröten einsammeln? „Die fegen wir einfach zusammen.“
Kaum hatte ich das gesagt, rief Leo „Ich hol schon!“ und draußen war sie. Wir anderen standen hilflos herum. Die winzigen Wesen hatten sich inzwischen im ganzen Labor ausgebreitet. Das Zusammenfegen würde gar nicht so leicht werden, dachte ich noch, da ...
„Iiih! Was ist denn das?“ Entgeistert starrte Jule auf ihre Füße. Dort zerfielen gerade ihre Schuhe vor unser aller Augen in ein weißes Mehl. Hanna hatte sich an einen der Labortische angelehnt. Von dem schnellte sie wie durch ein Katapult abgefeuert zurück in den Raum. Allerdings war sie plötzlich nur noch mit Leinen-T-Shirt und Slip bekleidet. Die Vorderseite ihres Rocks fiel als Fetzen auf den Boden und löste sich dort auch auf. Und jetzt sahen wir es: Von allen Seiten fielen die krabbelnden Punkte über unsere Kleidung her, als wäre die für sie als Babynahrung gedacht – oder nein: über meine nicht. Jule und Sina standen schon splitternackt da. Sie schrien und quietschten, schlugen um sich, versuchten, die allgegenwärtigen Punkte von ihren Körpern abzuschütteln. Als ob sie Hunderte von Flöhen am Beißen hindern wollten. Wahrscheinlich juckte ihre Haut. Durch die wilden Bewegungen behinderten sie sich eher gegenseitig. Das Einfachste wäre doch gewesen, nach draußen zu flüchten. Ich stand immer noch vollständig bekleidet da. Rief: „Nun reißt euch doch endlich zusammen!“
Zumindest für eine Sekunde unterbrachen die anderen ihre Hampelei. Das reichte mir. Ich riss die Tür auf. Gerade als die anderen aus dem Labor stürmen wollten, kam Leonie mit einem Handfeger, einer Schippe und zwei großen Wassereimern mit Deckel.
Ich setzte mich durch. Von draußen kämpften wir nun gegen die Schildkrötenplage an. Im Laufe des folgenden Kampfes fiel zwar auch Leonie der letzten Fetzen vom Körper, aber das Labor eroberten wir zurück.
„Dreh bloß die Dusche auf! Mich juckt und krabbelt es überall“, rief Jule Leo zu. „Meinst du, uns nicht?“ antwortete die.
Bei mir konnte das Jucken eigentlich nur Einbildung sein. Mich hatten die kleinen Krabbler überhaut nicht angerührt. Als hätte ich unangenehmen Körpergeruch oder so. Hanna und Nanette, Sonjas Klonies, hatten wenigstens noch Unterwäsche zum Ausziehen. Die anderen konnten gleich ihren Tanz unter dem lauwarmen Regen der Gartendusche beginnen.
„Wo nur die Alten stecken?“ wunderte ich mich. „Ihr habt doch vorhin gequiekt wie abgestochne Schweine!“
„Die sind wohl ins Dorf gefahren. Ich hab jedenfalls keinen gesehen“, sagte Leonie. „Die vertrauen uns eben.“
Mein Blick überflog unseren Laborschuppen. Er sah beeindruckend sauber und aufgeräumt aus. Die Deckel der beiden Eimer waren geschlossen. Darin wussten wir ein Gemisch aus dem Mehlstaub, den kleinen Krabblern und anderem Dreck. Von den Minischildkröten war im Raum keine mehr zu sehen. Ich zweifelte aber nicht daran, dass viele von ihnen in den Garten entwischt waren. Auch im Labor hatten sich bestimmt Ausreißer in Ritzen und Ecken verborgen. „… Die nehmen wir uns später vor.“ Ich schüttelte ein paar Tropfen ab. „Erstmal bringen wir uns wieder in Ordnung.“
Im Haus zogen wir uns frisch an. Welch Glück, dass wir dabei keinem begegneten.
„Du, ist dir das aufgefallen: Die haben alles aufgefressen, was aus Silit war“, flüsterte Jule mir zu. Ich nickte. „Das wird wohl kein Zufall sein. Wir sehn uns das gleich an. Fliegen können sie ja nicht und hüpfen auch nicht.“ Ein Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen. Das hatten die anderen davon, dass sie der neuesten Mode hinterherliefen.
Als wir zum Labor zurückkamen, fiel uns neben der Tür ein frisches Mäuseloch auf. Ich spähte durch eines der Fenster. Drinnen sah alles aus wie vorher. Nein. Die beiden Eimer waren umgekippt. Und wirklich: Alle Schildkröten waren weg.
„Müssen wir das jetzt alles erzählen?“ fragte Leonie.
„Besser nicht. Das bringt nur Ärger“, beruhigte ich sie. „Außerdem … was ist denn schon passiert?“
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